Florentina Holzinger als Anti-Superheldin im Trainingsanzug
Filmkritik: Mond, Kurdwin Ayub
Text: Lydia Bißmann - 31.03.2025
Rubrik: Film und Kino
„Mond" ist der zweite Langfilm der gefeierten Nachwuchsregisseurin und Autodidaktin Kurdwin Ayub, die vor zwei Jahren mit Sonne die Diagonale 2022 eröffnete.
Für die Hauptrolle konnte sie die Tänzerin und Choreografin Florentina Holzinger gewinnen, die zwar noch in keinem Film mitgespielt hat, aber eindrucksvoll beweist, dass man mit Hingabe und Konzentration alles machen kann – wenn man die Essenz verstanden hat.

Der Film Mond liefert eine der beeindruckendsten Tanz-Szenen, die das Kino hergibt. (Fotocredit: Ulrich Seidl Produktion)
Heldin mit Entscheidungsschwierigkeiten
Gedreht wurde Mond in Wien und Jordanien, wo ein Großteil des Films spielt. Sarah (Florentina Holzinger) ist eine in die Jahre gekommene Mixed-Martial-Arts-Kämpferin, die sich beruflich neu orientieren muss. Da sie von Businessplänen weniger versteht als von Kampfkunst, schlägt sie sich mit Klientinnen herum, die mehr an Selfies interessiert sind als an Sport. Frustriert, ein wenig desorientiert und von monetären Zwängen getrieben, beschließt sie, nach Jordanien zu gehen, um dort die Töchter einer superreichen Familie (Andria Tayeh, Celina Antwan, Nagham Abu Baker) als Privattrainerin zu betreuen. Auf den kulturellen Clash ist sie vorbereitet – auf das, was sie in der protzig-bedrohlichen Villa erwartet, allerdings nicht. Die drei verwöhnten Mädchen im „goldenen Käfig” interessieren sich kaum für körperliche Fitness. Geduldig und geradlinig versucht Sarah, ihren Auftrag so gut wie möglich zu erfüllen – was natürlich gründlich schiefläuft. Sie begleitet die Schwestern ins Einkaufszentrum oder sitzt mit ihnen auf dem Sofa und sieht zuckrige Soap-Operas. Auch die Kontakte an der Hotelbar bleiben oberflächlich – niemand scheint hier wirklich das zu sein, was er vorgibt. Einsamkeit und Langeweile machen ihr zu schaffen. Das, ihre Hilfsbereitschaft und ihr Gespür für die Unterscheidung zwischen ganz gut und total uncool reiten Sarah schließlich in einen Strudel unangenehmer Ereignisse hinein, aus dem sie nur knapp entkommen kann.
Krafttraining im goldenen Käfig
Mit oft quälend langen Kameraeinstellungen (Klemens Hufnagl) auf die Wüste, einsame Hotelzimmer oder die ausdruckslos gelangweilten Gesichter der jungen Frauen – die selten das sagen, was sie denken – vermittelt Kurdwin Ayub Gefühle, die sich leicht nachvollziehen, aber schwer begreifen lassen. Der schleimig-freundliche Bruder, der die Fitnesstrainerin für einen Monat engagiert, ihr Höchstgagen zahlt und sie ein Schweigegelübde unterschreiben lässt – zur Hälfte in einer Sprache, die sie nicht versteht –, der Hotel-Barkeeper, der zwischen Konvention und Flirt balanciert, oder die herzlich-verpeilten Freundinnen in Wien: Sie alle sind, wie sie eben sind – mit Absichten, die nicht immer ganz, aber irgendwie doch nachvollziehbar erscheinen. Schlichte, knappe Szenen – etwa wenn ein Chauffeur ein Gespräch oder einen Händedruck mit einer Frau verweigert – rufen Vorurteile auf den Plan. Wie man damit umgehen soll, muss man selbst entscheiden – darum schert sich Kurdwin Ayub, die auch das Drehbuch verfasst hat, wenig.
Hilfsbereitschaft am Prüfstand
Kurdwin Ayub arbeitet zu Recht gerne mit Amateurschauspieler:innen in einem intimen Setting. Das erlaubt den Figuren Entfaltung und Tiefe. Florentina Holzinger spielt in Mond eine körperlich starke Frau, bei der man keine Angst hat, wenn sie mutterseelenallein einen halblegalen Club in einer Tiefgarage betritt. In einer Szene wird sie betrunken von der Hotel-Security abgeführt – man hofft fast, dass sie ihren Kampfkunst-Kodex nicht vergisst und den Mann verprügelt. Sarah ist eine Superheldin, die zwar klug und kräftig ist, aber trotzdem nicht immer die richtigen Entscheidungen trifft. Sie will eigentlich nur das machen, was sie richtig gut kann: kämpfen. Fragen zu Kapitalismus, Solidarität und ein wenig ungeschickter Hilfsbereitschaft drängen sich auf – und wie schnell daraus eine Entführung Minderjähriger werden kann. In keinem Land möchte man dafür vor Gericht stehen. Aber Hilfe verweigern ist eben eine Kunst, die wenige von uns beherrschen. Auch wenn man damit unbewusst meist nur sich selbst helfen will.
Anders als Ayubs Debüt Sonne, der quirlig-bunt mit schnellen Schnitten und viel Handykamera das Leben migrantischer Jugendlicher porträtiert, ist Mond viel ruhiger, langsamer und ästhetisch geordneter. Mond ist ein Film, den man so schnell nicht vergisst. Er bietet keine Lösungen an, er versucht nicht einmal, die Welt zu erklären. Er erzählt auch keine abgeschlossene Geschichte – wie im realen Leben geht es einfach weiter, egal ob man an einer Episode scheitert oder nicht. Dazwischen gibt es quälend schöne Bilder: von Einsamkeit, vom „am falschen Ort sein“, aber auch Schreckmomente, in denen man sich die Hände vors Gesicht halten möchte. Das ist schön, fesselnd – und berührend und serviert junges, modernes Kino, von dem man unbedingt noch viel mehr sehen möchte.