Die blaue Brille als Türöffner

Filmkritik: Grüße vom Mars, Internationales Kinderfilmfestival Steiermark

Text: Sigrun Karre - 19.11.2024

Rubrik: Film und Kino
Filmkritik: Grüße vom Mars, Internationales Kinderfilmfestival Steiermark

Theo Kretschmer als Tom in Grüße vom Mars (2024). (Credit: farbfilmverleih)

Das 16. Internationale Kinderfilmfestival eröffnet in der Steiermark am 23. November bei freiem Eintritt im KIZ Royal Kino in Graz mit Sarah Winkestettes Film „Grüße vom Mars“, der danach auch in Liezen, Kapfenberg und Leibnitz zu sehen ist.

Der Kinderfilm ab acht Jahren wurde bereits bei seinem „Debüt“ beim Kristiansand International Children’s Film Festival in Norwegen zweifach ausgezeichnet, weitere Preise folgten. Vorlage für den Film war das gleichnamige Kinderbuch von Thomas Möller und Sebastian Grusnick, die auch das Drehbuch geschrieben haben. Im Mittelpunkt dieses warmherzigen Films steht Tom (Theo Kretschmer), ein Junge mit besonderer Wahrnehmung und außergewöhnlichen Talenten, die für ihn selbst und seine Umwelt oft herausfordernd sind. Tom (10) ist Asperger-Autist und lebt nach dem Tod des Vaters gemeinsam mit seinen Geschwistern und seiner Mutter (Eva Löbau) in Hamburg. Toms älterer Bruder Elmar (Anton Noltensmeier) ist ganz anders als er: Er kann bei weitem nicht so gut rechnen wie Tom, dafür ist er ein Draufgänger, hat vor nichts Angst und beschützt seinen Bruder. Schwester Nina (Lilli Lascher) fungiert als Älteste der Geschwister als „Übersetzerin“ zwischen Tom und der für ihn häufig verwirrenden Umwelt.

Filmkritik: Grüße vom Mars, Internationales Kinderfilmfestival Steiermark

Filmstill Grüße vom Mars (2024). (Credit: farbfilmverleih)

Fremder Kosmos Landleben

Sehr gelungen ist, wie sich der Film der Lebensrealität der Hauptfigur mittels kleiner animierter Szenen, Shift- und Tilt-Perspektive und akustischen Effekten glaubhaft nähert, ohne einseitig ins Dramatische oder Problembeschwerte zu kippen. Tom liebt – von ozean- bis saphirblau – alle Farben Blau. Rot hingegen mag er nicht. Ein Glück, dass der Mars gar nicht rot, sondern beige-bräunlich ist, träumt Tom doch davon, eines Tages der erste Mensch zu sein, der zum Mars fliegt, denn „auf der Erde ist es meistens viel zu laut“. Als die Mutter als Auslandskorrespondentin vorübergehend nach China reisen muss, droht Toms durch zahlreiche Regeln strukturiertes Leben erschüttert zu werden. Zwar bleibt ihm eine Reise ins „rotlastige“ China erspart, aber die Sommerferien bei den Hippie-Großeltern (Hedi Kriegeskotte und Michael Wittenborn) „in der Pampa“ katapultieren nicht nur Tom, sondern auch seine Teenager-Geschwister raus aus der sicheren Komfortzone. Im Dorf Lunau ticken die Uhren etwas anders. Die Großeltern halten nichts von Regeln und strengen Tagesabläufen, und auch Political Correctness ist im kleinen abgelegenen Ort noch kein Begriff. Stattdessen gibt es Freiräume, die sich mit Begegnungen, verbotenen Campingwagenfahrten und Projekten inklusive kleinerer Eskalationen füllen, nicht zuletzt dank fehlendem WLAN.

„Wenn du Oma und Opa schaffst, schaffst du es auch auf den Mars”

Für Tom ist der Aufenthalt in Lunau selbst ein Projekt von höchster Priorität, nämlich eine Expedition als Vorbereitung für den Flug zum Mars, für die er Schwester Nina zur Funkerin und Bruder Elmar zum ersten Offizier ernennt. „Wenn du Oma und Opa schaffst, schaffst du es auch auf den Mars.“, hat ihm seine Mutter vor der Abreise glaubhaft vermittelt. Mithilfe eines Logbuchs, dem am Dachboden gefundenen Teleskop des Vaters, seinem Rechentalent und seiner Leidenschaft für den Weltraum wird Tom nach erfolgreicher Mission sogar zum Namensgeber eines echten Kometen. Dabei ist auch ein Trick erlaubt. In Toms Heldengeschichte ist das „Illusionstool“ zur Überwindung der Angst eben nicht die rosarote, sondern die blaue Brille.
Filmstill Grüße vom Mars (2024). (Credit: farbfilmverleih)

Filmstill Grüße vom Mars (2024). (Credit: farbfilmverleih)

Zwischentöne und Feingefühl

Besonders macht den Film, dass er sich nicht in eine Betroffenheitsperspektive begibt, sondern als leichtfüßige, warme Komödie angelegt ist, die dennoch die schwierigen Aspekte der Außenseiterrolle ernst nimmt und unaufgeregt darstellt. Mit viel Sinn für Zwischentöne, allegorische Bedeutsamkeit und Feingefühl schafft die Regisseurin eine filmische Erzählung über den Glauben an sich selbst, der Berge versetzt, und die „Superkraft“ der Gemeinschaft.

Hervorzuheben ist auch die schauspielerische Leistung des 12-jährigen Hauptdarstellers Theo Kretschmer, der für „Grüße vom Mars“ zum ersten Mal vor der Kamera stand und sich als Vorbereitung auf diese besondere Rolle intensiv zum Thema Autismus eingelesen hat.

Filmkritik: Grüße vom Mars, Internationales Kinderfilmfestival Steiermark

Filmstill Grüße vom Mars (2024). (Credit: farbfilmverleih)

Grüße vom Mars (2024)

Regie: Sarah Winkenstette. Mit Gisa Flake, Cem-Ali Gültekin, Theo Kretschmer. Deutschland 2024 | Familienfilm | 85 min.

Termine und Info hier. 

Begleitmaterial zum Film

für Eltern, Lehrer:innen und andere Erwachsene.