Kunst als Stütze der Macht – die Geschichte der Diven des NS-Kinos
Buchkritik: Schau nicht hin, Evelyn Steinthaler
Text: Lydia Bißmann - 13.11.2024
Rubrik: Literatur
Evelyn Steinthaler beschreibt in ihrem Buch „Schau nicht hin: Kunst als Stütze der Macht – die Geschichte der Diven des NS-Kinos“ vier Werdegänge von Kino-Stars im Nazi-Deutschland und blickt dabei auch über den historischen Tellerrand hinaus.
Kunst und die Künstler:innen voneinander zu trennen ist schwer und auch nicht immer zufriedenstellend. Man muss per se kein guter Mensch sein, um außergewöhnlich gute Kunst machen zu können. Lída Baarová, Zarah Leander, Marika Rökk und Kristina Söderbaum wurden alle vier nicht in Deutschland geboren. Sie entschieden sich freiwillig und ohne jeden Zwang, ihr Können der Propagandamaschine des deutschen Kinos zur Verfügung zu stellen und wurden gar nicht oder erst im Laufe ihrer Tätigkeit eingebürgert. Sie hätten vermutlich auch woanders Karriere machen können, wenn vielleicht auch nicht so schnell oder so gut bezahlt wie im faschistischen Deutschland nach 1933.
Moral und Geld
Mit persönlicher Moral und individuellem Benehmen hat die Geschichte der vier Filmstars aber ohnehin nichts zu tun. Evelyn Steinthaler zeichnet in ihrem sachlich verfassten Buch eher eine Geschichte der ersehnten Karrieren und nicht zuletzt der Habgier - der Avaritia. Die Diven des NS-Kinos wurden sagenhaft bezahlt und nach Strich und Faden von Goebbels und seinen Schergen verwöhnt. Sie wohnten in Luxus-Villen, wurden auf Partys und in den Medien exklusiv gefeiert und bekamen auch Extrawünsche erfüllt. Dafür mussten sie in der NS-Propagandamaschine ihren Dienst erfüllen, auch wenn das in Pelz und Perlen gehüllt geschah. Die Habgier, die Avaritia ist eine der sieben Todessünden. Der Tod wartete in dieser Zeit aber auf jene, die sich gegen das System wehrten oder nicht schnell genug wegkonnten. Den Diven selbst geschah außer dem obligatorischen Aufführungsverbot nach 1945 recht wenig. Sie kehrten allesamt - wenn auch mit weniger Glamour - auf die Showbühnen und Kinoleinwände zurück und äußerten sich zurückhaltend, wenn sie auf ihre Zeit im NS-Kino angesprochen wurden.
Kino als Propagandamaschine
Das Kino als relativ neue Kunstform begeisterte damals nicht nur Hitler und Goebbels, es eignete sich auch hervorragend zur Mobilisierung der Massen. Vor den Filmen lief die Wochenschau, in den Streifen mit den Stars ließen sich die Glaubenssätze und Ideologien der nationalsozialistischen Weltsicht perfekt hineinweben. Das Kino der 20er-Jahre war innovativ, aufgeschlossen und qualitativ höchstwertig. Weil Volks-Unterhaltung auf Dauer nicht mit Wagner-Opern und Militäraufmärschen funktionieren kann, eroberten die Nazis das Kino als preiswert und einfach konsumierbares Massenmedium für sich und begannen dem Erbe der Weimarer Republik ihren hässlichen Stempel aufzudrücken. Die Autorin zeigt auf, dass die NS-Propaganda im Kino mit diffizilen Mitteln arbeitete. Nicht alle Filme waren so explizit formuliert wie der antisemitische Hetzstreifen Jud Süß von Veit Harlan. Viele andere, scheinbar fluffig-luftige Streifen und Tanzfilmchen agieren mit anderen Mitteln, hatten aber die gleiche Botschaft parat. Über 1.150 Filme wurden im Nazideutschland produziert, nur ein Sechstel waren reine Propagandafilme. Manche davon sind heute noch im Fernsehen zu sehen, wie zum Beispiel der Rühmann-Klassiker “Die Feuerzangenbowle“, der zu Hitlers Lieblingsstreifen zählte. Die selbstbewussten und karriereorientierte Schauspielerinnen lieferten in diesen Filmen ein höchst fragwürdiges Menschen- und Frauenbild ab, das dem eigenen in der Realität so gar nicht entsprechen wollte. Sie verkörperten die verführerische Exotin Lída Baarová, die dauerhaft gut gelaunte Sportskanone (Marika Rökk), das klassische deutsche Mädel (Kristina Söderbaum) oder heimsten dem deutschen Kino auch international Anerkennung ein, wie Superstar Zarah Leander.
Klammer in die Gegenwart
Das Buch bietet Einblicke in die Biografien der vier Filmstars, ohne eine zu enge Beziehung mit ihnen einzugehen. Die Autorin bleibt auf Distanz, wertet oder urteilt wenig, stellt aber die Lebensläufe von anderen Künstler:innen, die einen anderen Umgang mit dem Deutschen Reich zeigten, gegenüber. Dazu gehörten neben Greta Garbo und Marlene Dietrich auch Lillian Harvey oder die in Vergessenheit geratene Renate Müller. Die Nazis wurden besiegt und entfernt - die Diven wurden begraben. Was geblieben ist, sind ufa-Unterhaltungsfilme, die relativ unhinterfragt Jahrzehntelang in Dauerschleife in der TV-Unterhaltung am Sonntagnachmittag gespielt wurden. Auch interessant: Der Film „Jud Süß” (1940) darf als Vorbehaltsfilm in Österreich und Deutschland nicht ohne Genehmigung gezeigt werden, wurde aber in gewissen arabischen Ländern als antijüdische Hetze gerne benutzt.
Das letzte Kapitel behandelt die Gegenwart und das Spannungsfeld Kunst und Macht. Man muss gar nicht 80 Jahre zurückgehen, um menschenfeindliche Regime zu finden, die Superstars aus unterschiedlichen Gründen für ihre Zwecke einspannen lassen. „Schau nicht hin“ ist ein Buch, das sich gerne mehrmals hintereinander lesen lässt, und als profundes Sachbuch sehr viel Stoff für weitere Recherche zum Thema bietet. Es regt zum Nachlesen, Nachschauen und Nachdenken an und ist ein angenehmer Konterpart zu der fragwürdigen Geschichtsverwurstung, wie sie etwa im Roman „Lichtspiel” von Daniel Kehlmann oder dem Film „Führer und Verführer” von Joachim Lang leider passiert.
Die 1971 in Klagenfurt geborene Publizistin und Kommunikationswissenschaftlerin Evelyn Steinthaler ist als Autorin, Herausgeberin, Hörbuchproduzentin, Übersetzerin, Biografin auch in der politischen Bildung tätig. Für das Buch „Frauen 1938“ erhielt sie den Bruno-Kreisky-Anerkennungspreis für das Politische Buch. Zuletzt bei Kremayr & Scheriau erschienen: „Mag’s im Himmel sein, mag’s beim Teufel sein“ (2018).
Titel: Schau nicht hin: Kunst als Stütze der Macht – die Geschichte der Diven des NS-Kinos, Sachbuch
Autorin: Evelyn Steinthaler
Verlag: Kremayr & Scheriau
Erscheinungstermin: 21.02.2024
Seiten: 208
ISBN: 978-3-218-01338-3