Mensch und Natur: Dämme der Abschottung
Ausstellung: Sediment, <rotor>
Text: Robert Goessl - 20.11.2024
Rubrik: Kunst
Die von Dicle Bestas und Basak Senova kuratierte Ausstellung beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen zwischen Natur und Mensch, insbesondere mit den Auswirkungen, die menschliche Eingriffe aus ökologischer, ökonomischer und sozialer Sicht mit sich bringen.
Den Ausgangspunkt bildet dafür das von Künstler*innen betriebene Archiv des freien und gemeinnützigen Kunstraums „Loading“ in Diyarbakir in der Türkei. Neben ihnen beteiligen sich auch Künstler*innen aus Skopje und Graz, die vor Ort im Archiv recherchiert haben. Die Stadt Diyarbakir am Fluss Tigris blickt auf eine lange Geschichte zurück. Heute im Osten der Türkei wurde das umkämpfte Gebiet bereits von Assyrern, Persern und Römern besiedelt und ist heute hauptsächlich von Kurd*innen bewohnt und durch ihre Nähe zum Irak auf militärisches Aufmarschgebiet der Türkei.
Rojda Tugrul: Dersim / Muzur
Hängende Gärten der industrialisierten Landwirtschaft
In der Nähe der Stadt Diyarbakir liegen auch die fruchtbaren Hevsel-Gärten, die auf eine lange landwirtschaftliche Nutzungstradition zurückblicken. Mit dieser beschäftigt sich Rozelin Akgün in ihrem Werk traces of encounters (Spuren von Begegnungen). Seit tausenden Jahren werden diese Flächen auf natürlichen Terrassen, gespeist von natürlichen Quellen, bewirtschaftet. Die Zunahme von menschlichen Eingriffen und die zunehmende industrielle Landwirtschaft haben diesen „Garden Eden“ mittlerweile sehr zugesetzt.
Diese räumlichen und ökologischen Veränderungen reflektiert die Künstlerin mit auf einem Baugerüst aufgehängten, aus natürlichen Materialien wie Mais, Sand und Baumwollresten gefertigten Stoffen, die mit Kräutern und anderen natürlichen Materialien eingefärbt wurden. Die Farbpalette reicht dabei von frischem Grün bis zu bräunlichen Tönen, die die Verschmutzungen durch den Menschen andeuten. Beim Angreifen offenbaren die Biokunststoffschichten ihren unterschiedlichen Charakter, von absolut glatt bis sandpapierartig rau. Das ganze wirkt, als ob man sich mitten in einer industriell dekonstruierten Form der antiken hängenden Gärten der Königin Semiramis befindet.
Rozelin Akgün: traces of encounters (Credit: kuma)
Abbilder der Natur
Barbara Schmid verwendet natürliche Grundlagen, um abstrakte Werke aus Keramik zu schaffen: In Wurzelwerk / Roots System nimmt sie sich einer Sonnenblumenart an, die in ihren Wurzeln, Stängeln und Knollen Schwermetalle binden kann und so zur Bodensanierung verwendet werden kann. Sie gießt die Wurzeln der Pflanze in Keramik ab und glasiert die mit der Pflanzenasche, womit sie in ihrem Werk die aus der Erde aufgenommenen Schadstoffe quasi ausstellt. In Sediment/Xilt verwendet sie zermahlenen Bauschutt aus Diyarbakir für einen Keramikteppich in unterschiedlichen Farben, der ein Abbild der Zerstörungen durch das Erdbeben von 2023 und den kurdisch-türkischen Kampfhandlungen von 2015 bis 2016 darstellt. Am Boden platziert, lässt dieser Teppich als konzentrierte Mahnung menschliches Leid erahnen.
Barbara Schmid: Wurzelwerk / Roots System, Sediment/Xilt (Credit: kuma)
Abbilder der Unmenschlichkeit
Der Idee, abstrakte Abbilder der Natur zwischen Hoffnung und Zerstörung zu schaffen wird von Aylin Kizil ein konkretes Ereignis gegenübergestellt, dass sie Form von Fotos und einem Looping-Video unter dem Titel Saraykapi dokumentiert hat: 2004 wurden zur Umgestaltung eines Stadtviertels von Diyarbakir die Häuser von armen Bevölkerungsschichten abgerissen, um im Zentrum der Stadt für Touristen etwas Ansehnliches zu schaffen. Dabei wurde weder auf die historische Verwurzelung der Menschen und deren Nachbarschaftskulturen, noch auf deren Einkommenssituation Rücksicht genommen. Sie wurden einfach an den Stadtrand umgesiedelt, in Wohnungen, bei denen nicht sicher ist, ob sie sie auch abbezahlen können. In ihren Fotos zeigt sie den lebendigen Zustand des Viertels vor dessen Planierung und im Looping-Video die fortschreitenden Veränderungen.
Aylin Kizil: Saraykapi (Credit: kuma)
Dämme als Ende der Geschichte im Kriegszustand
Das antike Mesopotamien, das Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, musste schon viel über sich ergehen lassen. Völker kamen und gingen und aktuell herrscht dort latenter Krieg, und die türkische Regierung versieht die Gegend mit Sicherheitsdämmen, die Zugangswege blockieren und die Bewegung der kurdischen Kämpfer einschränken sollen. Dabei wird weder auf die Natur noch auf historische Stätten Rücksicht genommen. Anhand von hunderten Standbildern, die in einem Video gezeigt werden und die auch in Buchform existieren, zeichnet Rojda Tugrul in A Turtle in Ten Seconds (Eine Schildkröte in zehn Sekunden) die Reise einer mesopotamischen Weichschildkröte durch den Tigris nach, die dabei auf antike Spuren von vergessenen Göttern, Schätzen aus der Vergangenheit, menschliche Eingriffe und andere in diesem sterbenden Ökosystem lebenden Tiere trifft – ein stockendes Leben, fragmentarisch im Gegensatz zu den weiten der Natur, wie ein Versuch, die Zeit zu dehnen und dabei schmerzlich fühlbar zu machen, was verloren geht. Parallel dazu zeigt ihr Video Dersim / Muzur eine Fahrt durch den Nationalpark Dersim, eine der artenreichsten Landschaften in der Türkei, die zunehmende Militärpräsenz in Form von Mauern, Absperrungen und Wachtürme als Abbild einer Realität, die der Logik des Krieges unterworfen ist.
Rojda Tugrul: Dersim / Muzur, A Turtle in Ten Seconds (Credit: kuma)
Das Betrauern eines Flusses
Ebenso um einen Damm geht es im Video Sin / Mourning von Leyla Keskin, eine Trauerarbeit um verschwundene Lebensräume und verstorbene Tiere. Durch den Bau des Ilısu-Staudamms am Tigris wurden nicht nur Dörfer überschwemmt, sondern auch die Fischpopulation im Fluss wurde nahezu ausgelöscht. In dieser berührenden Arbeit gestaltet die Künstlerin zusammen mit den Kindern ihres ehemaligen und nun versunkenen Heimatdorfes gefaltete Fischfiguren, die dem Fluss gegeben werden. So verleiht sie der tiefen Besorgnis um die Umwelt und dem ökologischen Gleichgewicht Ausdruck. Dieses Ritual wird in eindrucksvollen Bildern dokumentiert, die erahnen lassen, welcher Kummer in diesem Verlust steckt.
Leyla Keskin: Sin / Mourning (Credit: kuma)
Ein kurzes Leben für die Kleidung
Ebenfalls von Leyla Keskin ist das Werk Silkworm and Human (Seidenraupe und Mensch), das comichaft das Leben von Seidenraupen beschreibt als farbenfrohes Nutztier-Märchen auf Video von Schlüpfen aus dem Ei bis zum Tod als Motte, das ebenso als Buch verfügbar ist. So liebevoll das Werk gestaltet ist, so sehr zeigt es den rücksichtslosen menschlichen Umgang mit der Natur. Denn wenn sie gestorben sind, tragen wir ihre Überreste auf unserem Körper.
Leyla Keskin: Silkworm and Human (Credit: kuma)
Ein Fluss von Beobachtungen und Gedanken
Die Wandinstallation von Hristina Ivanoska Walking by the River führt zum Fluss Vadar in Skopje. Die Künstlerin nimmt im Rahmen ihrer täglichen Spaziergänge entlang des Flusses die Änderungen in der Stadt wahr und zeichnet diese anhand ihrer persönlichen Beobachtungen nach, gleichsam als abstrakte Karte, die den Raum beherrscht und sein Flussbett in Skopje nachzeichnet. Der Fluss ist dabei so etwas wie die große Konstante, vermeidlich unverändert, und doch die Stadt erodierend, trennend und verbindend, aber auch erneuernd. Mit Bildern als Anker taucht man in eine Welt ein, die eine räumliche Erfahrung einer vielfältigen Stadt wiedergibt, wobei man sich dafür die Beobachtungen der Künstlerin für die eigenen Wahrnehmungen leihen kann.
Hristina Ivanoska: Walking by the River (Credit: kuma)
Wie es war
Sehr anders zeigt sich die Arbeit 360° <rotor> von Karin Lernbeiß. Im Korridor hängen 360°-Fotografien der Lager- und Büroräume von <rotor> als Dokumentation der Systematisierung und Digitalisierung des Bestandes eines menschengemachten künstlichen Lebensraums, der der Kunst gewidmet ist. Es kann eben nicht nur Natur verloren gehen, sondern auch vom Menschen gemachte Werke.
Karin Lernbeiß: 360° <rotor> (Credit: kuma)
Die Ausstellung zeigt den Verlust von Natur und zugleich die menschliche Macht und Ohnmacht ihr gegenüber. Beim Besuch sollte man sich Zeit nehmen, die Werke auf sich wirken zu lassen, um sich in deren Zusammenhänge einzufügen und sich in ein Fließen entlang der Flüsse, mit Blick auf die Momente und die Details zu begeben. Es ist nur wenig Hoffnung zu spüren, aber im Angesicht der Verfassung der Welt und insbesondere der kurdischen Geschichte der Unterdrückung, die nur am Rande vorkommt und vor allem als Unterdrückung der Natur in den entsprechenden Gebieten gezeigt wird, offenbart der Zustand vor allem Hilflosigkeit. Die Arbeiten sind durchsetzt von Trauer über Verluste von Lebensräumen, die sowohl die Natur als auch Menschen betreffen und versuchen der Verzweiflung darüber Ausdruck zu verleihen. Es ist vor allem ein konsequente Sichtbarmachung von Ereignissen, die fernab der täglichen Nachrichten passiert sind und weiter passieren und deren Auswirkungen noch lange spürbar sein werden.
Aylin Kizil: Saraykapi (Credit: kuma)
Sediment:
Verein Zentrum für zeitgenössische Kunst
Volksgartenstraße 6a, 8020 Graz, Austria
Ausstellungsdauer:
15.11.–21.12.2024
07.01.–15.02.2025
Öffnungszeiten:
Montag–Freitag 10:00–18:00, Mittwoch bis 22:00
Samstag 12:00–16:00
Eintritt frei
Mit Werken von
Rozelin Akgün, Hristina Ivanoska, Leyla Keskin, Aylin Kizil, Barbara Schmid und Rojda Tugrul
Rosa Plaveva and Nakie Bajram: Naming the Bridge im Rahmen von Walking by the River (Credit: kuma)