Wenn mechanische Objekte gefühlt zu Lebewesen mutieren
Ausstellung: Ausser Kontrolle, esc medien kunst labor
Text: Robert Goessl - 07.06.2025
Rubrik: Kunst
Das esc medien kunst labor beschäftigt sich in der Ausstellung mit Installationen und Objekten, die einem Einfluss von außen ausgesetzt sind, und darauf auf eine bestimmte Weise reagieren. Sie werden also metaphorisch einer Krisensituation ausgesetzt und reagieren darauf mit einer gewissen Resilienz. Damit wird versucht, die diffusen Unsicherheiten und gefühlten Bedrohungen der Zeit, aber auch angemessene Reaktionen darauf in künstlichen Objekten widerzuspiegeln.

David Bowen, Borut Savski, Christine Schörkhuber, Svitlana Zhytnia (Fotocredit: Martin Gross)
In Linien und Punkten zur Stadt
Svitlana Zhytnia (UKR/AUT) bindet in der Installation Embedded (Digital Limbo)die Besucher:innen sofort in das System ein. Denn die eigenen Bewegungen werden von Überwachungskameras eingefangen und fließen so in eine Videoumgebung interaktiv mit ein. Dabei entstehen abstrakte Bilder, die den Eindruck einer Stadt vermitteln, die auf ihre grundsätzlichen Strukturen, Punkte und Linien, reduziert ist. So werden geometrische Formen sichtbar, die nicht nur die Perspektiven ändern, sondern sich auch ständig in Auflösung und Entstehung befinden. Auf diese Weise können in diesem instabilen Raum die Betrachter:innen gelegentlich einen flüchtigen Blick auf sich selbst erhaschen – reflektiert, eingebettet oder verzerrt auf sich bewegenden Ebenen, die mit den sich verändernden Oberflächen und Gesichtern der digitalen Formen verschmelzen.

Svitlana Zhytnia: Embedded (Digital Limbo) (Fotocredit: Martin Gross)
Lebloses zum Leben erweckt
Das Objekt Gefüge / Cloud von Christine Schörkhuber (AUT) scheint nicht nur von der Decke zu schweben, sondern auch Leben in sich zu tragen. Die Struktur aus feinstem Metallgeweben nimmt winzige Veränderungen von elektrischen Feldern in der Umgebung wahr und reagiert darauf mit sanften Bewegungen und Verzerrungen wie eine Wolke im Wind. Damit entsteht eine nicht vorhersehbare Interaktion mit den Menschen, die sich um das Objekt herumbewegen. Das Metallgewebe wird so zu einer Analogie des sozialen Netzes, das zwischen Menschen in der Dynamik von kurzzeitigen Begegnungen und kaum wahrnehmbaren Interaktionen gedanklich und physisch entsteht. Es ist damit im Sinn von Donna Haraway ein Wesen in der Auflösung der zwischen belebter und unbelebter Natur: Die scheinbar aus dem Nichts sich erzeugenden atmende Bewegungen, die in Intensität und Richtung variieren und sich über einen längeren Zeitraum in die Form des Metallgewebes einschreiben, lassen das Gewebe gewissermaßen in belebte Materie mutieren.

Christine Schörkhuber: Gefüge / Cloud (Fotocredit: kuma)
Kräfte, die einander aufheben
Borut Savski (SLO) bringt sein Objekt Strained Structures: Octopussy unter Spannung. Ineinander verdrehte Teile sind miteinander verbunden und werden von vier Motoren angetrieben. Die Kräfte arbeiten im Objekt gegeneinander und erzeugen so ein Gleichgewicht zwischen den inneren Spannungen und den Kompressionen der einzelnen Teile. Die Skulptur nimmt so die von außen zugefügte Energie in sich selbst auf und scheint trotz der Spannungen sich in einem Gleichgewicht zu befinden – es erträgt gewissermaßen die Spannungen, die von außen zugeführt werden, und behält diese Energien in sich. In der Kybernetik sagt man für solche Systeme, dass sie eine eingebaute Intelligenz und so eine Reihe von Eigenschaften aufweisen, die es „morphologischer, organischer, lebendiger“ machen. Es geht nicht um Wirkung und Gegenwirkung, sondern um die sich ergänzenden Aktionen, die Prinzipien des Drückens und Ziehens, des Zusammenziehens, des Zurückziehens, des Anziehens und Abstoßens, die eine Einheit erschaffen.

Borut Savski: Strained Structures: Octopussy (Fotocredit: kuma)
Das Spiel mit dem „Anderen“ und deren empfundener Wahrnehmung
Ebenfalls von Borut Savski (SLO) ist die Installation Twin Speakers, bei der zwei kleine Maschinen, die sich gegenüberstehen und einander wahrnehmen, auf den ersten Blick wie zwei verspielte, neugierige Wesen wirken. Sie reagieren nicht nur aufeinander, sondern nehmen auch die Gesichter der Besucher:innen wahr, um darauf miteinander zu interagieren, sich quasi zu einer Einheit zu verschränken. Damit entsteht ein System des Wahrnehmens und Beobachtens in einer Kombination aus Bewegungen und Stimmen. Wenn sich eine der beiden Entitäten Besucher:innen zuwendet, dann erweckt sie aus dem verschränkten System ausbrechend den Eindruck eines kurzen Blickes, der Idee einer gegenseitigen Identität vermittelt – eine Art Fake-Kommunikation zwischen Meister und Sklave und Besucher:in zwischen Selbstermächtigung und Synchronisation und dem Gefühl, kurz davor zu sein, jemand „Anderen“ und damit ein lebendiges Wesen vor sich zu haben.

Borut Savski: Twin Speakers (Fotocredit: kuma)
Der unvorhersehbare Tanz der Lautsprecher
Die Arbeit SwarmOfSpeakers – The Unconscious Orchestra von Stefan Doepner (SLO/DEU) besteht aus mehreren Robotik-Lautsprechern, wobei einer von ihnen als Mikrofon auch als Mikrofon verwendet wird, sodass deren Bewegungen damit soundgesteuert werden. Ein Geräusch bringt das System in Bewegung: Per Mikrofon geht der Sound durch eine Klanganalyse, und die Ergebnisse werden eingeordnet und als Koordinaten für die Motoren benutzt. Dabei beginnen die einzelnen Lautsprecher einen Tanz aufzuführen, bei dem das System über sich selbst die Kontrolle übernimmt, wobei zufällige Informationen aufeinandertreffen und ineinander verkoppelt werden. Denn jedes weitere Geräusch der Motoren wird in die Klanganalyse miteinbezogen und hat damit Einfluss auf den weiteren Ablauf. Das System ernährt sich damit quasi von selbst – mit einem unvorhersehbaren Ergebnis zwischen Nonsens und Poesie. Dieser „unbewusste“ Teil des Orchesters weist auch darauf hin, dass in der Technologie stets ein gewisses Maß an Unvorhersehbarkeit besteht.

Stefan Doepner: SwarmOfSpeakers – The Unconscious Orchestra (Fotocredit: kuma)
Wenn der Wind auf der anderen Seite der Welt weht
Die Installation tele-present wind von David Bowen (USA)besteht aus 42 mechanischen dünnen getrockneten Pflanzenstängeln, die im Ausstellungsraum am Boden platziert sind und sich mittels Motoren in zwei Raumrichtungen kippen lassen. Diese 42 künstlichen Pflanzen reagieren auf einen Wind, der am anderen Ende der Welt, im Visualization and Digital Imaging Lab der University of Minnesota, von einem Sensor gemessen wird. So bewegen sich die einzelnen Komponenten der Installation in Österreich im Einklang, während sie die Richtung und Intensität des Windes auf der anderen Seite der Welt nachahmen. Wobei, nachdem die Motoren pro „Pflanze“ ihre Vorgaben nicht exakt umsetzen, auch noch ein natürlicher Effekt von kleinen Variationen entsteht. So vermittelt das System eine physische Darstellung der dynamischen und fließenden Umweltbedingungen von einem Ende der Welt zu einem anderen.

David Bowen: tele-present wind (Fotocredit: Martin Gross)
Als Teil des Ganzen im Sinn unserer Wahrnehmung
Die Ausstellung ist ein Spiel mit der menschlichen Wahrnehmung. Im Zeitalter von KI und zunehmender Durchdringung des Lebens durch virtuelle Welten und künstlichen Assistenten wird der Fokus auf Objekte und Vorgänge gelegt, die zwar künstlich oder computergesteuert generiert werden, aber die in uns Menschen etwas auslösen, sodass wir ihnen Attribute der Natürlichkeit zuweisen. Das kann so weit gehen, dass man glaubt, Lebewesen zu erkennen, mit denen man Empathie empfindet. Alle Dinge im Ausstellungsraum haben gemeinsam, dass sie mit Wirkungen von außen, sei es direkt durch Menschen oder auch durch mehr oder weniger induzierte Kräfte, konfrontiert werden und darauf reagieren. In diesem Sinn werden unsere Sinne und unser Denken herausgefordert, mit dem Ansatz, sowohl neugierig und offen zu bleiben, als auch kritisch reflektierend den Objekten der Ausstellung gegenüberzutreten. Es gilt, die belebte wie auch die unbelebte Natur als Teil eines Systems wahrzunehmen, das wir nicht imstande sind zu beherrschen und uns deshalb als einen verantwortlichen Teil davon verstehen müssen.
In einem sehr informativen Video in der Ausstellung kommen auch alle Künstler selbst zu Wort, um über sich und ihr Werk zu sprechen.

Stefan Doepner (im Video) (Fotocredit: Martin Gross)
Ausstellung: Ausser Kontrolle
esc medien kunst labor
Bürgergasse 5
8010 Graz
Noch geöffnet:
bis 29. August 2025
von Dienstag – Freitag, 14.00 – 19.00 Uhr und nach Vereinbarung
Special Event:
Donnerstag, 12. Juni 2025 19:00: Game over - Lab-Konzert
von Christof Ressi mit Szilard Benes (Klarinette) und Emiliano Sampaio (E-Gitarre)

Credit Martin Gross